Beschäftigt man sich mit Softwareentwicklung, kommt man kaum am Thema Low-Code vorbei. Der Ansatz klingt verheißungsvoll und wie ein Allheilmittel für komplexe IT-Anforderungen, die ansonsten nur mit viel Aufwand und Know-how umsetzbar sind: Mit nur wenig Programmierkenntnissen und nach dem Baukastenprinzip mit fertigen Komponenten ganze Anwendungen zusammenstellen – im Idealfall sogar, ohne eigenen Source-Code hinzuzufügen. Allerdings sind gerade in der Verwaltung die Anforderungen zum Teil sehr komplex, sodass dieser Weg gut durchdacht sein will.

Low-Code-Plattformen
Low Code – Low Effort?
Die Prinzipien Low-Code und No-Code
Grundsätzlich zielen sowohl der Low-Code- als auch der No-Code-Ansatz darauf ab, die individuelle Softwareentwicklung zu vereinfachen und zu beschleunigen und damit kostengünstiger zu gestalten. Bei diesem Prinzip sind durch Abstraktion weniger Programmierkenntnisse notwendig, um Software zu entwickeln. Auf Low-Code- sowie No-Code-Plattformen entwickelt man viel eher auf visueller Ebene mit Hilfe einer benutzerfreundlichen Oberfläche, statt klassisch und textbasiert Code zu schreiben. Die Plattformen liefern dafür vorgefertigte Komponenten, die bei der Erstellung von Software helfen. Beim No-Code-Prinzip ist sogar keinerlei Source-Code mehr notwendig. Das Erstellen einer Anwendung ist allein über die Benutzeroberfläche per Drag-and-Drop-Prinzip möglich. In der Praxis ist dieses Vorgehen aber eher selten anwendbar, da es sich nur für sehr einfache Einsatzgebiete eignet. Viel eher kommt die Low-Code-Entwicklung zum Tragen, die durch individuellen Code entsprechend „customized“, also angepasst, werden kann. Dies ermöglicht, noch flexibler auf Anforderungen zu reagieren.
Das Schreiben von textbasiertem Code entspreche der Realität viel eher, so Matthias Guckler von der HZD-Anwendungsentwicklung: „Bei der Entwicklung von Software kommen wir in der Regel nicht umhin, eigenen Code hinzuzufügen, auch wenn wir mit vorgefertigten Bausteinen arbeiten. Die Anforderungen sind meist so komplex, dass wir auf die Bedarfe unserer Kunden mit individuellen Anpassungen reagieren müssen.“ Obwohl es Low-Code-Plattformen leichter, schneller und damit kostengünstiger machen, Software zu erstellen, hieße das im Umkehrschluss aber nicht, dass diese auch einfach zu bedienen sind. „Das ist ein Trugschluss“, so Guckler. „Die Bedienung solcher Plattformen ist sehr komplex und erfordert viel Know-how und eine steile Lernkurve. Hierfür benötigen wir also auch weiterhin Software-Spezialistinnen und -Spezialisten.“
Prozess- versus entwicklungsorientiert
Dabei ist Low-Code-Plattform nicht gleich Low-Code-Plattform. Es gibt verschiedene Ausprägungen, von denen zwei für die Verwaltungs-IT besonders interessant sind: vorgangsorientierte Low-Code-Plattformen und entwicklungsorientierte Plattformen. Wie der Name schon vermuten lässt, zeichnen sich die vorgangsorientierten Low-Code-Plattformen hauptsächlich durch ausgeprägte Funktionalitäten im Bereich Prozessmanagement aus. Für eigene Fachanwendungen sind sie allerdings weniger gut geeignet. Hierfür greift man besser auf eine entwicklungsorientierte Plattform zurück, die noch mehr Freiheiten bietet, wie zum Beispiel eigene Datenbanken, eigene Benutzeroberflächen oder Schnittstellen zu anderen Systemen.

Lösungen für die Verwaltung
Auch der Bund hat das Potenzial von Low-Code-Anwendungen erkannt und sich auf die Suche nach geeigneten Anbietern entsprechender Plattformen für die Verwaltungs-IT begeben. Über eine bundesweite Ausschreibung wurden sowohl passende Anbieter für prozessorientierte Low-Code-Plattformen wie auch für entwicklungsorientierte Plattformen gesucht. Bei der ersten Ausschreibung für prozessorientierte Plattformen wurden Produkte von vier Anbietern ausgewählt, darunter ServiceNow, das zur Automation von Geschäfts- und IT-Prozessen eingesetzt wird. Durch vorgefertigte und ausgereifte Module eignet sich ServiceNow besonders gut für das IT-Servicemanagement sowie für das Assetmanagement.
Für die Erstellung von Fachanwendungen oder komplexeren Eigenentwicklungen sind entwicklungsorientierte Plattformen hingegen die bessere Wahl. Bei der Suche nach geeigneten Anbietern gab es mit OutSystems nur einen Gewinner. Von dieser Ausschreibung profitieren auch die Bundesländer. So ist auch die HZD über die Hessische Staatskanzlei bezugsberechtigt und kann die Services der Low-Code-Plattformen ebenfalls nutzen. Denn gerade für öffentliche IT-Dienstleister wie die HZD ist diese Art von Plattformen sehr interessant. Als Full-Service-Provider der Landesverwaltung muss die HZD in der Lage sein, alle Anforderungen ihrer Kunden abzudecken – vom IT-Servicemanagement und weiteren Self-Service-Prozessen bis hin zu komplexen Fachanwendungen aller Ressorts.
Es gibt nicht DIE eine Plattform. Je nach Einsatzgebiet, individuellen Anforderungen und Budget schauen wir, welche Vorgehensweise sich für die Softwareentwicklung am besten eignet und gleichzeitig für unsere Kunden am wirtschaftlichsten ist.
Unterschiedliche Plattformen für unterschiedliche Einsatzgebiete versprechen hierfür viel Potenzial. ServiceNow als vorgangsorientierte Plattform wird von der HZD aktuell schon für das IT-Servicemanagement (ITSM) und das Assetmanagement zum Einsatz gebracht. Hier kann die HZD von vorgefertigten Komponenten profitieren, muss diese allerdings an die individuellen Bedarfe ihres ITSM anpassen. Die Potenziale und Grenzen einer entwicklungsorientierten Low-Code-Plattform hat das Team von Matthias Guckler in einem eigenen Proof-of-Concept geprüft und Entscheidungskriterien entwickelt, die bei der Wahl der richtigen Low-Code-Plattform helfen können. Sie definieren, für welche Anforderungen welcher Lösungsansatz am besten geeignet ist.
Trotz ihrer flexiblen Anpassungsmöglichkeiten sind Low-Code-Plattformen nicht die Antwort auf alle Entwicklungsfragen, betont Matthias Guckler: „Es gibt nicht DIE eine Plattform, die perfekt für alle Anwendungsfälle passt. Je nach Einsatzgebiet, individuellen Anforderungen und Budget schauen wir, welche Vorgehensweise sich für die Softwareentwicklung am besten eignet und gleichzeitig für unsere Kunden am wirtschaftlichsten ist. Hier können wir auf einen Pool von vier verschiedenen Entwicklungslösungen zurückgreifen, um passgenaue Anwendungen zu liefern – von der komplexen Eigenentwicklung über vorgangs- und entwicklungsorientierte Low-Code-Komponenten bis hin zu den etablierten Anwendungsbausteinen der HZD-eigenen FISBOX®, die ebenfalls dem Low-Code-Prinzip folgt.“

Weniger Code, weniger Personal?
Doch was verändert sich durch eine Softwareentwicklung, die auf fertige Komponenten zurückgreifen und mit nur wenig Code relativ schnell Lösungen bereitstellen kann? Braucht es dann überhaupt noch IT-Dienstleister wie die HZD mit eigenen Entwicklungsteams? Tatsächlich ergeben sich neue Rollenkonzepte: die „Citizen Developers“. Diese Personen sind zwar keine ausgebildeten Softwareentwicklerinnen und -entwickler, können aber mit ihrer Expertise und dank der vereinfachten Bedienbarkeit von Low-Code-Plattformen beim Erstellen von Software mitwirken. Sie stehen also zwischen den professionellen Entwicklungsteams und den fachlichen Usern. Dennoch müsse man sich von der Vorstellung verabschieden, dass man beim Einsatz von Low-Code-Lösungen keinen IT-Dienstleister mehr benötigt, stellt Matthias Guckler klar: „Ohne erfahrende Entwicklerinnen und Entwickler werden wir auch künftig keine Fachanwendungen für die Verwaltung bereitstellen können – selbst mit der besten Low-Code-Plattform nicht. Ein gutes Beispiel dafür ist aktuell der Einsatz von ServiceNow für das IT-Servicemanagement sowie das Assetmanagement der HZD. Obwohl wir hier auf vorgefertigte Lösungsbausteine setzen, die speziell für diese Anwendungsgebiete bereitgestellt werden, ist damit die Arbeit bei Weitem nicht getan.“
Die Potenziale von Low-Code sind groß, genauso wie die Einsatzgebiete. Dennoch kann dieses Prinzip nur an der Seite von weiteren Ansätzen der Softwareentwicklung funktionieren, um auf die komplexen Anforderungen von Verwaltungs-IT zu reagieren und um im Sinne der HZD-Kunden immer den effizientesten Weg zu gehen, wenn es um den Einsatz von Zeit, Kosten und Personal geht.
Das Marktforschungsunternehmen Gartner beobachtet eine rasch steigende Nachfrage an Low-Code-/ No-Code-Plattformen. Laut einer Studie werden bis 2025 rund 70 Prozent der von Unternehmen entwickelten neuen Anwendungen auf Low-Code- oder No-Code-Technologien basieren. Zum Vergleich: Im Jahr 2020 waren es noch weniger als 25 Prozent. Gerade für Geschäftsprozesse seien die Tools interessant, da mit Hilfe dieser Technologien auch außerhalb von IT-Abteilungen Anwendungen zusammengestellt und integriert werden können.