Die DigitalService GmbH ist eine 100-prozentige Tochter des Bundes und konzipiert auf Bundesebene Lösungen zur Digitalisierung der Verwaltung. Bastian Quilitz verstärkt den Digitalisierungspartner der Verwaltung seit Ende 2024 als Chief Technology Officer. Im Interview mit INFORM erklärt er, warum für ihn und sein Team Open Source das Mittel der Wahl und Standardisierung der schnellere Weg zum Ziel ist.

Interview
Open by Default
INFORM: Herr Quilitz, DigitalService hat sich das Motto „Veränderung kommt von Machen“ auf die Fahnen geschrieben. Was hat es damit auf sich?
Bastian Quilitz: Bürgerinnen und Bürger, aber auch Verwaltungsmitarbeitende stoßen täglich an ihre Grenzen, wenn es um die Interaktion mit dem Staat geht. Deutschland braucht eine moderne Verwaltung, die den Anforderungen und Möglichkeiten des digitalen Zeitalters gerecht wird. Wir beim DigitalService sind der Digitalisierungspartner der Verwaltung. Unsere Aufgabe ist es, Lösungen für eine moderne und nutzerzentrierte Verwaltung zu entwickeln. Wir kennen die Verwaltung und wissen, wie Digitalisierung geht. Aber nicht nur in der Theorie, sondern in der Praxis, denn unsere eigenen Software-Entwicklerinnen und -entwickler sind bei Projekten von Anfang an mit eingebunden.
Die Aussage „Veränderung kommt von Machen“ bedeutet für uns deshalb ganz konkret, dass wir uns aktiv in die Umsetzung einbringen und gemeinsam mit unseren Kunden Schritt für Schritt auf eine digitale Verwaltung hinarbeiten. Die vielen kleinen Schritte, die wir entsprechend dem Prinzip der agilen Vorgehensweise gehen, ermöglichen es uns, kontinuierlich Feedback zu erhalten und zu erkennen, was sinnvoll ist oder vielleicht auch nochmal angepasst werden muss.
INFORM: Sie arbeiten bevorzugt mit Open Source. Wie gut funktioniert das in der Praxis?
Bastian Quilitz: Es ist inzwischen üblich, dass Softwareentwicklung in vielen Bereichen auf Open Source aufsetzt – beispielsweise bei Entwicklungsumgebungen, bei Bibliotheken oder auch bei der Laufzeitumgebung, in denen die Anwendungen dann am Ende laufen. Das Arbeiten mit etablierten Open-Source-Komponenten hat den Vorteil, dass diese von unterschiedlichsten Unternehmen in vielfältigen Szenarien eingesetzt werden, dadurch in der Praxis bewährt sind und eine gute Stabilität mit sich bringen. Außerdem steht eine große Entwicklergemeinschaft dahinter, die Software kontinuierlich weiterentwickelt und ihre Arbeit meist gut dokumentiert. Das heißt für uns, dass wir auf wirklich leistungsfähige Komponenten aufsetzen können und das Rad nicht neu erfinden müssen. Außerdem besteht bei Open Source in Hinblick auf IT-Sicherheit und Datenschutz viel Transparenz.
INFORM: Ist es nicht so, dass man bei Open-Source-Produkten wenig Einfluss auf Sicherheitskriterien hat?
Bastian Quilitz: Es ist richtig, dass einzelne User konkrete Sicherheitskriterien nicht vorgeben können, sondern eine Abstimmung im jeweiligen Projekt notwendig ist. Oft gibt es aber bereits in der Entwicklergemeinschaft ein gutes Bewusstsein für das Thema Sicherheit und die Bereitschaft, Verbesserungen schnell mit aufzunehmen. Zudem sind vor allem die etablierten Open-Source- Projekte, die breit eingesetzt werden, in gewisser Weise einer natürlichen Härtung unterworfen.
Unter bestimmten Voraussetzungen bietet Open Source für uns tatsächlich eine Unterstützung bei der Umsetzung der hohen Anforderungen an IT-Sicherheit und Datenschutz. So lassen sich beispielsweise Sicherheitsmaßnahmen wie Code Reviews oder Abhängigkeitsanalysen zur Kontrolle der „Lieferkette“ einer Software gut nachvollziehen. Und auch ein Abgleich gegenüber bekannten Schwachstellen ist aufgrund der offenen Struktur der Projekte besonders gut möglich. Zudem bietet die Offenheit der bereitgestellten Lösungen uns die Möglichkeit, individuelle Anpassungen vorzunehmen und Elemente wie Verschlüsselungsmechanismen oder maßgeschneiderte Berechtigungskonzepte einzubauen.
Worauf man allerdings ein besonderes Augenmerk legen muss, ist die Einbettung in einen gut strukturierten Softwareentwicklungsprozess, der unter anderem auf ein automatisches Test- und Patch-Management setzt. Nur so kann man einerseits die Qualität der Software sicherstellen und anderseits einen guten Überwachungsmechanismus etablieren, der beispielsweise anzeigt, wenn verwendete Komponenten von Sicherheitslücken betroffen sind. Diese regelmäßig laufenden Sicherheits-Checks erlauben uns, potenzielle Schwachstellen frühzeitig zu schließen und ein entsprechend hohes Sicherheitsniveau zu gewährleisten.

INFORM: In Zeiten knapper Kassen ist Wirtschaftlichkeit ein entscheidender Faktor. Sind alle Open-Source-Produkte kostenlos oder ist das nur Wunschdenken?
Bastian Quilitz: Open Source bedeutet nicht automatisch kostenlos. Für die Nutzung können Lizenzkosten, Kosten für Betrieb und Support oder Kosten für einen erweiterten Funktionsumfang anfallen – entweder durch den ursprünglichen Entwickler oder durch andere IT-Dienstleister. Es gibt aber kostenlose Bausteine, die man gut verwenden kann – zum Beispiel Bibliotheken, die als Open Source mit freien Lizenzen verfügbar sind – auch wenn teilweise große Firmen wie Microsoft, Google oder Meta dahinterstehen. Und natürlich fallen für die Arbeit, die wir leisten, Kosten an. Schließlich braucht es für jedes Vorhaben Entwicklerinnen und Entwickler, die aus den Komponenten passende Lösungen erstellen, sowie weitere Expertinnen und Experten, die das Digitalisierungsvorhaben begleiten.
INFORM: Nutzerorientierung ist bei der Softwareentwicklung das A und O. Wie schaffen Sie den Spagat zwischen Standardbausteinen und Kundenanforderungen?
Bastian Quilitz: Wie gut das funktioniert, hängt auch davon ab, auf welcher Ebene man Open Source einsetzt. Beim DigitalService handhaben wir es so, dass wir einzelne Komponenten nehmen und sie in unsere eigene Software integrieren. Wir suchen also nicht fertige Open-Source-Lösungen aus und stellen sie dann unseren Kunden zur Verfügung, sondern entwickeln gemeinsam mit ihnen eigene Lösungen, in die wir dann beispielsweise standardisierte Bibliotheken einbetten. Die vorgefertigten Bausteine sparen uns Zeit und ermöglichen es, unseren Fokus auf die wirklich wichtigen nutzerrelevanten Bereiche zu setzen – also die eigentliche Funktion, die Gestaltung der Frontends, die Anpassung von Logiken und Strukturen.
INFORM: Wie muss man sich bei Ihnen die Entwicklungsarbeit vorstellen? Machen Sie die komplett inhouse oder kaufen Sie auch Leistungen ein?
Bastian Quilitz: Das ist tatsächlich eine Besonderheit des DigitalService. Wir haben eigene interdisziplinäre Entwicklungsteams und bauen die Software zum Großteil selbst – als Lösungen für unsere Kunden. Das heißt, wir haben nicht nur Entwicklerinnen und Entwickler, sondern auch ein agiles Produktmanagement, Designerinnen und Designer und Leute für User-Research, die mit den Fachbereichen Interviews führen, um dann auf Basis der Ergebnisse passende Lösungen zu entwickeln. Und diese Teams arbeiten tatsächlich bei uns im Haus an Softwarelösungen für und mit unseren Kunden und immer mit Fokus auf die User. Deshalb setzen wir auf iterative, kurze Schritte, um den Erfolg der einzelnen Maßnahmen messbar zu machen. Dabei beschränken wir uns nicht nur darauf, die anfänglich definierten Anforderungen Punkt für Punkt umzusetzen, sondern begleiten, beraten und unterstützen den gesamten Entstehungsprozess.
INFORM: Was ist eine typische Anwendung, die Sie nach diesem Prinzip realisiert haben?
Bastian Quilitz: Für das Bundesfinanzministerium haben wir beispielsweise ein Produkt im Bereich Grundsteuer live gebracht. Als die Reform anstand, haben wir eine Weblösung gebaut, um die Bürgerinnen und Bürger durch den gesamten Antragsprozess zu führen – mit einer Größenordnung von circa einer Million Einreichungen zur Grundsteuer und einer durchschnittlichen Bearbeitungszeit von nur 15 bis 30 Minuten. Außerdem optimieren wir gemeinsam mit dem Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend den Elterngeldrechner. Mit dem integrierten Planer können werdende Eltern ausprobieren, wie sich die verschiedenen Varianten des Elterngeldes für sie am sinnvollsten kombinieren lassen. Zudem entwickeln wir für das Bundesministerium der Justiz das neue Rechtsinformationssystem, das Teil des Rechtsetzungskreislaufs ist.
Nach dem Prinzip „Open by default“ – also Offenheit als Standard – teilen wir unsere Erkenntnisse und Erfahrungen.
INFORM: Nachnutzbarkeit ist ein Thema, das sich durch die komplette Verwaltungsdigitalisierung zieht. In welche Richtung denken Sie, um zu möglichst universellen Standards zu kommen?
Bastian Quilitz: Wir sind sowohl Nutzer als auch Entwickler von Standards. Open Source habe ich eingangs schon erwähnt. Da setzen wir einerseits Komponenten ein, die bereits verfügbar sind. Gleichzeitig stellen wir unsere Lösungen weitestgehend als Open Source zur Verfügung, und zwar bis hin zum Gesamtsystem mit Quelltext, Dokumentation, Methodik und Arbeitsweisen. Nach dem Prinzip „Open by default“ – also Offenheit als Standard – teilen wir unsere Erkenntnisse und Erfahrungen. So machen wir die Nachvollziehbarkeit für andere Nutzende möglichst einfach und schaffen die Voraussetzung, dass unsere Angebote möglichst breit genutzt werden können.
So machen wir die Nachvollziehbarkeit für andere Nutzende möglichst einfach und schaffen die Voraussetzung, dass unsere Angebote möglichst breit genutzt werden können.
INFORM: An welchen Standards haben Sie maßgeblich mitgearbeitet?
Bastian Quilitz: Gemeinsam mit dem Bundesministerium des Innern und für Heimat arbeiten wir an der Weiterentwicklung des Servicestandards, der Qualitätsprinzipien für die Digitalisierung von Verwaltungsleistungen festlegt. Dabei haben wir kürzlich mit einem breit aufgestellten Konsortium aus Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft einen Normierungsprozess abgeschlossen. Erstmals wurden dabei konkrete Anforderungen für die Entwicklung und den Betrieb von Online-Diensten und Portalen definiert. Den Servicestandard wenden wir als Digital- Service auch konsequent in unseren Projekten an und veröffentlichen Selbstaudits über die Erfüllung des Servicestandards auf unserer Webseite.
Neben nutzerfreundlichen Angeboten braucht es auch die richtigen rechtlichen Grundlagen, die das möglich machen. Mit dem BMI entwickeln wir daher auch den Digitalcheck. Ziel ist es, Verwaltungsmitarbeitenden Instrumente an die Hand zu geben, die sie unterstützen, digital und praktisch gut umsetzbare Regelungen zu erarbeiten. Ein Bestandteil dieses Instrumentenkastens sind fünf Prinzipien, um digitaltaugliche Regelungen zu erarbeiten. Das erste Prinzip lautet beispielsweise „Digitale Kommunikation sicherstellen“, das dritte „Datenschutz und Informationssicherheit gewährleisten“.
Wenn Ministerien zusätzliche Begleitung brauchen, dann unterstützen wir die Fachreferate auch mit interdisziplinären Teams, die Regelungen fit für die Anforderungen der Digitalisierung machen. Außerdem arbeiten wir aktiv an technischen Standards mit, beispielsweise an LegalDocML, das als Datenstandard für das neue Rechtsinformationssystems eingesetzt wird.
INFORM: Was muss noch getan werden, damit das digitale Portfolio für Behörden komplett ist? Oder anders gefragt: Wie sieht für Sie die perfekte digitale Verwaltung aus?
Bastian Quilitz: Die perfekte digitale Verwaltung? Einfach und zugänglich – das ist, glaube ich, die ganz kurze Antwort auf diese große Frage. Dass Angebote der Verwaltung in Zukunft den Bürgerinnen und Bürger mit wenigen Klicks zugänglich sind und einfach genutzt werden können. Bis das erreicht ist, gibt es tatsächlich noch viel Arbeit, die nur gemeinsam, als Team mit allen Akteuren aus Verwaltung und der IT, zu schaffen ist.
INFORM: Wir danken Ihnen für das Gespräch.
Bastian Quilitz
kurz und knapp
recht früh „irgendwas mit Computern“.
bekam ich mit zwölf, und ich habe früh angefangen zu programmieren. Für mich war schnell klar, dass mir das Spaß macht. Da war es später naheliegend, diese Leidenschaft auch zum Beruf zu machen.
die Chance, etwas grundlegend zu verbessern. Sie ist für mich der Schlüssel, um die öffentliche Verwaltung leistungsfähig und zukunftsfähig zu machen.
mein Mobiltelefon.
verbringe ich gern Zeit mit meiner Familie in der Natur, beim Radfahren, Paddeln oder beim Camping.
vielen, auch einfachen Themen. Ich wünsche mir, dass in Zukunft mehr und mehr Angebote der Verwaltung ganz einfach digital zugänglich sind – mit wenigen Klicks.