Porträtfoto Michael Boddenberg

Ausnahme-IT-Projekt Grundsteuerreform

Michael Boddenberg, Hessischer Minister für Finanzen, im Gespräch

Im Juni haben die hessischen Finanzämter rund 2,8 Millionen per­sonalisierte Informationsschreiben an Eigentümerinnen und Eigen­tümer von Grundbesitz in Hessen versendet. Sie geben wichtige Hinweise zur Grundsteuerreform und liefern individuelle Daten, die für die Erklärung zum Grundsteuermessbetrag benötigt werden. Ein Großprojekt, bei dem die HZD die Hessische Steuerverwaltung (OFD und HMdF) mit Personal, Know-how und IT-Technik unterstützt. INFORM sprach mit Finanzminister Michael Boddenberg über die größte Reform in der Steuerverwaltung der vergangenen Jahrzehnte, über umfassenden Service und über Digitalisierung als einzigen Weg.

INFORM: Herr Minister Boddenberg, die neue Grundsteuer ist für die Steuer­verwaltung ein enormer Kraftakt. Was sind ihre wesentlichen Eckpunkte und was macht sie zur größten Reform der vergangenen Jahrzehnte?

Die hohen Fallzahlen und die zeitliche Enge unterscheiden die Grundsteuer­reform von allen anderen wichtigen Steuerreformen der vergangenen Jahr­zehnte.

Michael Boddenberg Hessischer Finanzminister

Boddenberg: Ein Kraftakt ist die Grund­steuerreform wegen der sehr hohen Fallzahlen und der knappen Umset­zungsfrist. Bundesweit geht es um rund 36 Millionen Grundstücke und land-und forstwirtschaftliche Betriebe, da­von etwa drei Millionen in Hessen. Von diesem Gesamtbestand wurden bisher in den Bewertungsstellen jedes Jahr nur etwa acht bis zehn Prozent anlass­bezogen bearbeitet, zum Beispiel bei Neubau, Umbau oder Verkauf. Nun sind es 100 Prozent auf einen Schlag. Es begann am 1. Juli, als die ersten Erklä­rungen eingingen. Zeit ist nur bis Mitte 2024, denn dann müssen die Gemeinden die neuen Steuermessbeträge ken­nen, um die Hebesätze neu einzujustieren, denn auch die gemeindebezogene Aufkommensneutralität ist ein wichtiger politischer Eckpunkt der Reform.

Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2018 und setzte zwei Fristen: Erstens forderte es den Bundesgesetzgeber auf, bis Ende 2019 eine gesetzliche Neu­regelung zu schaffen. Diese Neurege­lung kam einen Monat vor Fristablauf, nämlich im November 2019. Für die ei­gentliche Umsetzung in der Praxis ist aber der 31. Dezember 2024 wichtig, denn nur bis dahin darf die Grundsteu­er noch an die alten Einheitswerte an­knüpfen.

Die hohen Fallzahlen und die zeitliche Enge unterscheiden die Grundsteuer­reform von allen anderen wichtigen Steuerreformen der vergangenen Jahr­zehnte.

INFORM: Hessen weicht bei der Grundsteuerreform bewusst vom Bundesmodell ab. Inwiefern?

Boddenberg: Der Hessische Landtag hat im Dezember 2021 das Hessische Grundsteuergesetz verabschiedet. Es regelt ein einfaches, verständliches und gerechtes Grundsteuermodell für Hessen: das Flächen-Faktor-Verfahren. Es beschränkt sich in dem Gros der Fälle auf nur wenige Angaben. Neben all­gemeinen Daten zu Grundstück und Eigentümer sind dies berechnungsrelevante Angaben zur Bodenfläche und zur Wohn- bzw. Nutzungsfläche der Ge­bäude und zu deren Nutzungsart – „Wohnen“ oder „Nicht-Wohnen“. Der für die Faktorberechnung benötigte Bodenrichtwert wird aus den Daten der Katasterverwaltung zugespielt.

Das Bundesmodell verlangt dagegen noch deutlich mehr Angaben. Es kom­men hinzu das Baujahr, das Jahr einer Kernsanierung oder Abbruchverpflich­tung, die Zahl der Garagenstellplätze, der Bodenrichtwert und die Grund­stücksart, also Einfamilienhaus, Miet­wohngrundstück, Geschäftsgrundstück usw.

Wir bieten in Hessen ein schlankes Modell und einen breiten Service. Die vergleichsweise wenigen Angaben führen am Ende zu verständlichen und erklärbaren Berechnungen in den Bescheiden.

Die Entscheidung für das hessische Modell ist sehr bewusst gefallen. Wir haben das Bundesmodell auf Herz und Nieren geprüft und viele Fälle gerech­net. Die Ergebnisse waren ernüchternd. Wir kamen zum gleichen Ergebnis wie namhafte Wissenschaftler, die im Bun­desmodell zu hohen Aufwand für zu schlechte Ergebnisse sehen.

Wir bieten in Hessen ein schlankes Modell und einen breiten Service. Die vergleichsweise wenigen Angaben führen am Ende zu verständlichen und erklärbaren Berechnungen in den Be­scheiden.

Michael Boddenberg Hessischer Finanzminister

INFORM: Welche organisatorischen, strukturellen und technischen Hürden mussten genommen werden, um den Versand der 2,8 Mio. Informations­schreiben an Grundstückseigentüme­rinnen und Grundstückseigentümer zu garantieren?

Boddenberg: Nicht nur die Vielzahl an Informationsschreiben, sondern auch das verhältnismäßig kurze Zeitfenster für die Umsetzung hat die Hessische Steuerverwaltung herausgefordert. Be­vor die Informationsschreiben gedruckt und versendet werden konnten, musste die HZD zunächst Datenbestände aller Eigentümerinnen und Eigentümer aus­werten und die Informationen zu Lage und Bezeichnung des Grundstücks auf­bereiten. Zudem wurde ein Namens­und Adressdaten-Abgleich beim Informationstechnikzentrum Bund für alle natürlichen Personen mit ID-Nummer durchgeführt. Eine weitere Herausfor­derung war, dass nicht nur ein Schrei­ben, sondern vier verschiedene Schrei­ben erstellt werden mussten. Jeweils zwei für die Grundsteuer A (land- und forstwirtschaftliches Vermögen) und zwei für die Grundsteuer B (Grundver­mögen), weil sowohl Alleineigentum als auch Miteigentum berücksichtigt wur­den. Hierzu mussten die Programme zur Generierung erstellt und im An­schluss die Schreiben druckaufbereitet sowie dem Druckzentrum der HZD in Hünfeld zur Verfügung gestellt werden.

Dabei hatte die Versendung nach einem dezidierten Druckzeitplan ämterweise zu erfolgen, damit auch den Finanzäm­tern der jeweilige Tag der Versendung bekanntgegeben und der telefonische Bürgerservice in dem betroffenen Finanzamt entsprechend vorbereitet werden konnte.

Porträtfoto Michael Boddenberg

INFORM: Inwieweit mussten die Serviceangebote der Steuerverwaltung dafür ausgebaut werden?

Boddenberg: Die Hessische Steuerver­waltung hat ein umfassendes Service­angebot rund um die Grundsteuer, um die Bürgerinnen und Bürger bestmög­lich bei der Erklärungsabgabe zu unter­stützen. Im Hinblick auf die Versendung der Informationsschreiben im Juni, aber auch auf den Beginn der Frist für die Erklärungsabgabe zum 1. Juli, wurden die Servicezeiten der Bürgerservicestellen sowie der Servicehotline nochmals erweitert. Die Bürgerservicestellen der Finanzämter und die Servicehotline waren zusätzlich zu den re­gulären Servicezeiten (von Montag bis Freitag jeweils von 8 bis 18 Uhr) in den Monaten Juni und Juli 2022 auch sams­tags von 8 bis 13 Uhr für die Bürgerin­nen und Bürger speziell für Fragen zur Grundsteuerreform erreichbar. Dabei sind die Bürgerservicestellen der Finanzämter für allgemeine Fragen oder solche zu einem konkreten Grund­steuerfall die richtigen Ansprechpart­ner, und die Servicehotline hilft bei Fra­gen rund um die elektronische Erklä­rung weiter.

Auch die von der HZD betriebene Infor­mationsseite grundsteuer.hessen.deÖffnet sich in einem neuen Fenster, auf der die Hessische Steuerverwaltung seit Sommer 2021 umfassend und übersichtlich über die Grundsteuerre­form informiert, wird laufend aktua­lisiert. Hier finden sich beispielsweise Überblicksartikel für die Grundsteuer­reform und ein Katalog mit Antworten auf häufig gestellte Fragen. Zudem finden die Bürgerinnen und Bürgern hier verschiedene Hilfestellungen, etwa zum Abruf des kostenlosen digitalen Flurstücksnachweises sowie Checklis­ten, aus denen die in der Erklärung anzugebenden Angaben ersichtlich sind.

INFORM: Welche Kompetenzen der HZD kommen der Hessischen Steuer­verwaltung bei einem solchen Groß­projekt insbesondere zugute?

Boddenberg: Ein besonders hervorzu­hebendes Argument für die IT-Umsetzung eines eigenen Ländermodells für die Grundsteuer B ist die Tatsache, dass das durch die Finanzämter in Hes­sen genutzte Bewertungsprogramm weitestgehend in eigener Verantwor­tung betrieben und weiterentwickelt werden kann. Ein breiter Erfahrungs­schatz im IT-Projektmanagement sowie die flexible Personalsteuerung in der Steuerabteilung der HZD sorgen hierbei für die zielgerichtete Umsetzung eines solchen Ausnahme-IT-Projekts. Auch die durch viele erfolgreich abgeschlos­sene Projekte routinierte Zusammenarbeit zwischen HZD und OFD als fach­verantwortlicher Stelle trägt letztlich zu einer erfolgreichen IT-Umsetzung der Grundsteuerreform bei.

Nicht nur Hessen-intern ist die HZD gut aufgestellt, auch in der länderübergrei­fenden Zusammenarbeit im KONSENS-Verbund steht die HZD als etablierter Partner zur Verfügung. Dieses Wissen zahlt sich insbesondere bei der Abstim­mung und Einbindung der Zulieferun­gen bestimmter Bausteine für die Grundsteuerreform aus dem KONSENS-Bereich aus, um ein leistungsfähiges IT-Produkt zu erhalten. Dies trifft insbe­sondere auf die Einbindung von ELSTER zu, sodass auch die hessische Finanz­verwaltung von den Vorteilen einer elektronischen Erklärungsabgabe für die Grundsteuer profitiert.

Die elektronische Erklärungsabgabe – beispielsweise über die verwaltungseigene Onlineplattform „Mein ELSTER“ – bietet viele Vorteile auch für die Steuerverwaltung.

Michael Boddenberg Hessischer Finanzminister

INFORM: Die Grundstückseigentüme­rinnen und Grundstückseigentümer können ihre Erklärungen ausschließlich elektronisch mit ELSTER abgeben. In­wieweit profitiert die Hessische Steuerverwaltung von digitalisierten Prozes­sen?

Boddenberg: Die elektronische Erklä­rungsabgabe – beispielsweise über die verwaltungseigene Onlineplattform „Mein ELSTER“ – bietet viele Vorteile auch für die Steuerverwaltung. Sie profitiert davon, dass sie struktu­rierte Datensätze erhält, die eine sehr gute Qualität aufweisen und medien-bruchfrei weiterverarbeitet werden können. Im Gegensatz hierzu ergeben sich im analogen Papierverfahren, bei dem die Erklärungsangaben entweder manuell erfasst oder die Erklärungen gescannt werden müssen, weitere Arbeiten, und es können sich Erkennungs- und Übertragungsfehler einschleichen, die letztendlich auch zu Rückfragen bei den Steuerpflichtigen führen können. In Einzelfällen ist dies zwar nicht von besonderer Relevanz – im Zuge der Grundsteuerreform erwar­ten wir jedoch annähernd drei Millio­nen zusätzliche Erklärungen. Durch die Verpflichtung zur elektronischen Erklä­rungsabgabe können wir in aller Regel auf diese rein administrativen Aufgaben verzichten, benötigen weniger Personal und sparen entsprechend Kosten ein.

INFORM: Der Versand der Schreiben und die angeforderten Erklärungen zum Grundsteuermessbetrag sind erst der Anfang. Wie sehen die nächsten Schritte aus?

Boddenberg: Seit dem 1. Juli 2022 kön­nen Bürgerinnen und Bürger in Hessen ihre Erklärung zum Grundsteuermess-betrag abgeben. Die Abgabefrist endet am 31. Oktober 2022. Die Bürgerinnen und Bürger erhalten ihre Bescheide über den Grundsteuermessbetrag, und die neu ermittelten Grundsteuermess-beträge werden den hessischen Kom­munen fortlaufend elektronisch per ELSTER-Transfer zum Abruf bereitge­stellt.

Die hessischen Kommunen werden dann im Laufe des Jahres 2024 anhand der übermittelten Grundsteuermess-beträge die örtlichen Hebesätze neu festlegen. In einem nächsten Schritt errechnen sie die ab 2025 zu zahlende Grundsteuer, indem sie den vom Finanzamt festgesetzten Grundsteuer-messbetrag mit dem neu festgelegten Hebesatz multiplizieren. Bis zur Fest­legung der neuen örtlichen Hebesätze kann die neue Grundsteuer noch nicht berechnet werden. Mit dem Grund­steuerbescheid für das Jahr 2025 – die­ser wird voraussichtlich Anfang des Jahres 2025 bei den Bürgerinnen und Bürgern eingehen – wird durch die Kommune über die Höhe der neu zu zahlenden Grundsteuer informiert und damit auch direkt zur Zahlung aufge­fordert.

Michael Boddenberg

kurz und knapp

war Fußballer.

ein Smartphone – zum Ärger meiner Familie.

wie wir zu der gesellschaftlichen Zufriedenheit der 1980-er Jahre zurückkehren können.

spiele ich Gitarre, am liebsten hin und wieder als Gast in einer Band.

„Nach Mitternacht“ von Irmgard Keun.

meine Mutter und meine Schwiegereltern.