In weiten Teilen der deutschen Justiz ist die elektronische Kommunikation dank der verpflichtenden Einführung des elektronischen Rechtsverkehrs schon gelebte Praxis. Auch das Führen und die Übermittlung der Akten erfolgt dank der E-Akte hier schon auf digitalem Wege. Bei der Strafakte, die ein wichtiges Bindeglied zwischen Justiz und Polizei ist, müssen jedoch besondere Anforderungen berücksichtigt werden. Diese ergeben sich aus dem etablierten Prozess: Sobald die Ermittlungen in einem Verfahren abgeschlossen sind, übergibt die Polizei die Ergebnisse ihrer Arbeit per Strafakte ans Strafgericht und die Staatsanwaltschaft. Diese Akte musste bislang laut Gesetzgeber als Papierdokument geführt und als solches an die Justiz übergeben werden. In der Praxis führte dies mitunter dazu, dass ein ganzer Berg von Akten per Kurier von Polizeibehörde zu Staatsanwaltschaft befördert werden musste.
Elektronische Strafakte
Aktenaustausch, aber bitte papierlos!
"Die Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen ist komplex, da sie nicht nur einen modernen Web-Client auf Basis von Angular umfasst, sondern auch ein abgestimmtes System für die gesamte Übertragung von Daten von der Polizei zur Justiz mit sich bringt. Hinzu kommt, dass EAS nicht für sich alleinstehen wird, sondern wie viele andere Services unter dem Dach des Programms P20 in das Datenhaus-Ökosystem als Zielarchitektur des Programms integriert wird. Nicht zuletzt machen der gesetzlich vorgeschriebene Starttermin zum 1. Januar 2026 sowie die Vielzahl der beteiligten Akteure EAS zu einem sehr anspruchsvollen Projekt. Erfreulich ist deshalb, dass wir im Zusammenwirken von Polizei, Justiz und der HZD als Betreiber im September 2024 erfolgreich in die erste Pilotierung gestartet sind. Seit der Entscheidung für die HZD als Betriebsdienstleister für den EAS-Komplex erleben wir als Projektleitung die HZD als sehr professionellen und lösungsorientierten Partner. Die HZD bietet eine umfassende Beratung durch kompetente Ansprechpersonen und hat sich in allen Phasen der bisherigen Zusammenarbeit durch schnelles und professionelles Handeln ausgezeichnet."
Projekt EAS
Um den elektronischen Datenaustausch zwischen Justiz und Polizei zu ermöglichen und die digitale Zusammenarbeit zu optimieren, hat das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) im Rahmen seines groß angelegten polizeilichen Digitalisierungsprogramms P20 ein eigenes Projekt angestoßen: die flächendeckende Einführung der elektronischen Akte in Strafsachen (EAS). Sie soll die vorhandene Lücke schließen und eine Kommunikationsschnittstelle zwischen Justiz und Polizei schaffen. Kein einfaches Unterfangen, immerhin arbeiten sowohl Polizei als auch Justiz mit heterogenen IT-Systemen und Datenstrukturen, die mit- und untereinander sicher kommunizieren sollen – also ohne dass Daten auf diesem Weg verändert werden können. Durch die elektronische Strafakte wird nicht nur ein einheitlicher Standard geschaffen, die Anwendung vermeidet künftig den bisherigen Medienbruch und macht den Austausch von Akten in strafrechtlichen Angelegenheiten deutlich leichter und effizienter.
Verantwortet vom Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) hat sich das Programm P20 zum Ziel gesetzt, die polizeiliche IT-Architektur in Deutschland zu harmonisieren und zu modernisieren. Die Zahl 20 steht für die Anzahl der teilnehmenden Polizeien: 16 Landespolizeien, drei Polizeien des Bundes und das Zollkriminalamt.
Mit einheitlicher Sprache
Von der Digitalisierung betroffen sind nicht nur die Ermittlungs- und Bußgeldakten der Polizei oder die Strafakten des Zolls. Vielmehr geht es um den gesamten Kommunikationsprozess mit der Justiz, der mit diesen Akten zusammenhängt – also um den Austausch sämtlicher Akten, Teilakten, Dokumente und Vorgangsdaten. Zur Umsetzung dieses bundesweiten IT-Großprojekts hat sich das BMI über eine Kooperation mit dem Hessischen Ministerium des Innern, für Sicherheit und Heimatschutz (HMdI) die HZD mit ins Boot geholt: Sie ist damit beauftragt, den technischen Betrieb für die elektronische Akte in Strafsachen zu übernehmen und die dafür erforderliche Betriebsumgebung aufzubauen, sowie die Anwendungen zu betreiben.
Dies barg zwei zentrale Herausforderungen, die es von der HZD zu meistern galt: Zum einen musste sich das E-Akten- System nicht nur in die IT der hessischen Polizei eingliedern, sondern auch kompatibel mit der IT-Infrastruktur anderer Länder- oder Bundespolizeibehörden sein, die teilweise mit völlig unterschiedlichen Systemen und Daten- strukturen arbeiten. Zum anderen war eine Kommunikationsschnittstelle zur Justiz notwendig, die eine sichere und rechtskonforme Übertragung der Akten ermöglicht und gleichzeitig sichergestellt ist, dass sich die digitalen Akten nahtlos ins Aktensystem der Justiz eingliedern lassen.
Tobias Klein, der die Planung und Umsetzung in der HZD verantwortet, erklärt das so: „Man muss sich das wie völlig unterschiedliche Sprachen vorstellen, für die wir nun eine Art Langenscheidt- Wörterbuch zur Übersetzung schreiben.“ Um diese umfangreiche Aufgabe zu lösen, sind neben der HZD auch noch weitere IT-Dienstleister am Projekt beteiligt. Alle Fäden laufen bei der SINC GmbH zusammen, die im Auftrag des BMI als Generalunternehmen agiert und die Zulieferung aller Softwarekomponenten koordiniert und mit der die HZD daher eng zusammenarbeitet.
Portable Container als Lösung
Die virtuelle Betriebsumgebung, die die HZD mithilfe dieser Softwarekomponenten entwickelt, baut auf dem Prinzip der Containerisierung auf. Das hat einen entscheidenden Vorteil: Bei klassischen Methoden wird der Code in einer ganz bestimmten Umgebung entwickelt, was beim Transfer in eine andere Umgebung – beispielsweise beim Wechsel vom Linux- zu einem Windowsbetriebssystem – schon mal zu Fehlern führen kann.
Bei der Containerisierung hingegen wird der Code von Beginn an zusammen mit den zugehörigen Konfigurationsdateien, den Bibliotheken und den Abhängigkeiten in Containern gebündelt. Diese sind damit eigenständig sowie portabel und können problemlos auf jeder Plattform oder der Cloud ausgeführt werden. Dadurch kann die HZD Anwendungen viel schneller und sicherer bereitstellen. Angesichts des knappen Zeitkorridors zur vollständigen Einführung der elektronischen Strafakte bis 1. Januar 2026 ist das ein entscheidendes Ass, um das (fast) Unmögliche möglich zu machen.
Sicherheit fest im Blick
Beim Entwickeln und Bereitstellen der Virtualisierungsumgebung für containerisierte Anwendungen spielt die Informationssicherheit zudem eine wichtige Rolle. Alle Anwendungen müssen den Sicherheitsvorgaben des BKA entsprechen. „Dafür erstellen wir ein eigenes IT-Sicherheitskonzept“, berichtet HZD-Projektleiter Tobias Klein weiter. „Das allein hat mehr als 1.000 Seiten Umfang, was die Dimension und Wichtigkeit des Themas zeigt.“
Daneben werden mit der elektronischen Akte wesentliche Fragen des Datenschutzes berührt, denn die damit einhergehende Verarbeitung personenbezogener Daten ermöglicht im Vergleich zur papierbasierten Aktenführung eine wesentlich einfachere und schnellere Durchsuchung, Filterung oder Verknüpfung von Daten. Die geltenden Datenschutzrichtlinien werden von den Projektbeteiligten sowie den Entwicklungsteams bei der Umsetzung mitgedacht und eingehalten.
Step by step zur Einführung
Mit dem Aufbau der technischen Umgebung, der Einbindung aller Softwarekomponenten und der Einhaltung der Informationssicherheit ist es bei Weitem noch nicht getan. Um einen reibungslosen Betrieb sicherzustellen, müssen umfangreiche Tests vorausgehen. Dazu gehört ein Testsystem, in dem alle grundlegenden Kommunikationsfälle abgebildet und getestet werden, die mit dem Akten- und Dokumentenaustausch zwischen Polizei und Justiz zusammenhängen. Erst dann kann die elektronische Strafakte in den Rollout gehen, der gestaffelt erfolgt.
Der Pilotbetrieb startete im September 2024 in den Bundesländern Hessen und Saarland. Bis zum Jahresende soll das Aktensystem auf bis zu sieben teilnehmende Bundesländer ausgeweitet werden. Ist die Umstellung einmal geschafft, wird der Datenaustausch zwischen Polizei, Justiz und den Verwaltungsbehörden auf ein neues Level gehoben. Ein zeitgemäßes Informationsmanagement sowie einheitliche IT- Standards gestalten die Kommunikation deutlich effizienter. Somit leistet die EAS einen entscheidenden Beitrag zur wirksamen Kriminalitätsbekämpfung und letztendlich auch zur inneren Sicherheit.