Porträtfoto in Halbtotale von Martin Schallbruch, CEO der govdigital eG

Cloud ausbauen – Souveränität sichern

Als Genossenschaft der öffentlichen IT-Dienstleister organisiert die govdigital eG deutschlandweite Kooperationen und gemeinsame Plattformen für die digitale Verwaltung – allen voran die Deutsche Verwaltungscloud (DVC). Im Interview spricht CEO Martin Schallbruch über den Status quo der DVC, die Bedeutung von digitaler Souveränität, über Rückenwind von der Politik und die Kraft von Kooperationen.

INFORM: Wenn Sie auf die aktuellen Entwicklungen im öffentlichen Sektor blicken – welches Vorhaben gibt Ihnen am meisten Zuversicht, dass wir bei der bundesweiten Cloud-Transformation erfolgreich sein werden?

Martin Schallbruch: Gegenwärtig stimmt mich vor allem positiv, dass der Bund mit seinem neuen Koalitionsvertrag das Thema Cloud in der Priorität ganz oben auf die Agenda gesetzt hat. Er will einerseits die Deutsche Verwaltungscloud in vielfältiger Form unterstützen, aber auch mit dem Aufbau eines Deutschland-Stacks ein Stück weit die Standardisierung auf Basis von Cloud-Technologien im Public Sector fördern.

Wenn ich darüber hinaus die Zusammenarbeit von Bund und Ländern im IT-Planungsrat im Augenblick betrachte, dann stelle ich fest: Wir haben hier einen gemeinsamen und starken politischen Willen und auch die Bereitschaft, mehr zu investieren. Das, glaube ich, eröffnet uns in den nächsten drei bis vier Jahren die Chance, die Cloud- Transformation mit einer höheren Geschwindigkeit und mehr Konsequenz in und durch alle betroffenen Instanzen in ganz Deutschland umzusetzen.

INFORM: Viele Behörden haben noch Vorbehalte gegenüber der Cloud. Welche sind aus Ihrer Sicht berechtigt – und welche sind eher Mythen?

Martin Schallbruch: Diese Frage ist schwierig zu beantworten. Der Begriff „die Cloud“ im Public Sector ist so allgemein, dass jeder ein bisschen etwas anderes darunter versteht.

Wenn ich Cloud abstrakt als die Nutzung von elastischen IT-Ressourcen außerhalb des eigenen Rechenzentrums verstehe, dann ist damit eine veränderte Steuerung verbunden. Daraus können höhere Abhängigkeiten entstehen. Gleichzeitig sind damit eine Menge Chancen verbunden, etwa die leichtere Skalierbarkeit oder auch die höhere Resilienz von cloudbasierten Lösungen. Diese Abwägung muss im Mittelpunkt der Auseinandersetzung mit der Cloud- Transformation im Public Sector stehen. 

INFORM: Public, Private, Hybrid und Community Clouds für die öffentliche Verwaltung – das Spektrum an Modellen ist groß und will erst mal verstanden werden. Haben Sie für die Verwaltung klare Empfehlungen, oder kommt es auf den Einzelfall an?

Martin Schallbruch: Meiner Meinung nach wird sich generell herauskristallisieren, dass die öffentlichen IT-Dienstleister als Multi-Cloud-Anbieter auftreten – ein Weg, den auch die HZD eingeschlagen hat. Wir haben einerseits die Anforderung, Daten mit besonderem Schutzbedarf in eigenen Rechenzentren zu verarbeiten, sei es im Bereich Polizei, Justiz oder Steuern. Auf der anderen Seite gibt es beispielsweise im Bildungswesen den Bedarf nach höherer Agilität und schnellerer Skalierung, wenn sich zum Beispiel morgens um 8 Uhr zigtausend Schülerinnen und Schüler in dasselbe Schulsystem einloggen.

Weil es beide Bedarfe gibt, müssen wir auch beides unterstützen – auf einer Basis, nämlich die der Cloud-Technologie. Es braucht also sowohl den Cloud- Stack im eigenen Rechenzentrum als auch den Zugang zu Public-Cloud- Angeboten von souveränen Anbietern. Das miteinander zu kombinieren, wird eine Aufgabe der großen öffentlichen IT-Dienstleister sein. Kleinere öffentliche IT-Dienstleister entscheiden vielleicht, auf das eigene Rechenzentrum zu verzichten und das Rechenzentrum anderer öffentlicher IT-Anbieter zu nutzen – auf Basis von Cloud-Technologie. Als govdigital werden wir zum Beispiel ein Kubernetes-Cluster anbieten, das die Rechenzentren der öffentlichen IT-Dienstleister auf Basis von Cloud-Plattformen verbindet. 

Martin Schallbruch, CEO der govdigital eG, am Tisch sitzend beim Interview mit der HZD-Redaktion

INFORM: Die govdigital eG spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau und Betrieb der Deutschen Verwaltungscloud. Was ist die zentrale Idee dahinter?

Martin Schallbruch: Die zentrale Idee hinter der DVC ist, dass wir die Cloud- Transformation in der öffentlichen Verwaltung gemeinsam gestalten und steuern, um die digitale Souveränität zu behalten. Kunden im Public Sector sollten nicht irgendein Cloud-Angebot nutzen, sondern eine gemeinsame Struktur. Struktur heißt in diesem Fall: die DVC als eine Art Intermediär.

Mit der DVC bieten wir eine Cloud- Plattform und ein Cloud-Service-Portal mit über 40 digital buchbaren Services von diversen IT-Dienstleistern. Das sind verlässliche Angebote, die die Anforderungen an Sicherheit und Verfügbarkeit erfüllen. Die DVC umfasst außerdem ein dahinter liegendes organisatorisches Modell. Behörden in Bund und Ländern können die Services beziehen, ohne sie ausschreiben zu müssen. Wir haben außerdem einheitliche AGBs und ein Reifegradmodell, das sowohl Sicherheits- als auch Souveränitätsstandards enthält. So kann man genau sehen, was man vom Cloud-Service bekommt. Damit haben wir die Möglichkeit, auch die Nutzung von privaten Cloud-Angeboten einheitlich zu steuern.

Die zentrale Idee ist also, das gemeinsame Handeln in der Cloud-Transformation möglich zu machen, indem ein technischer, organisatorischer und rechtlicher Rahmen dafür geschaffen wird. Das haben wir jetzt erreicht und bauen es weiter aus. 

INFORM: Die DVC ist im April in den Regelbetrieb überführt worden. Was heißt das?

Martin Schallbruch: Das bedeutet, dass Verwaltungen genau die Dienste und Services, die ich gerade aufgezählt habe, beziehen können. Als nächstes werden wir sukzessive die Basisdienste, die die Verwaltung braucht – inklusive der Services aus dem Deutschland- Stack – in der DVC anbieten. Sie sind dann sofort für die ganze Verwaltung nutzbar. Und das bedeutet auch, dass wir Plattformen von privaten Cloud- Anbietern – sofern sie den DVC-Kriterien entsprechen – in der DVC verfügbar machen. Daran arbeiten wir im Augenblick.

INFORM: Wie verläuft seit dem „Go live“ die Entwicklung der DVC?

Martin Schallbruch: In den ersten Monaten haben sich um die 250 Kunden auf der DVC registriert, um Cloud-Services zu buchen. Da sind wir auf einem guten Weg. Wünschen würde ich mir, dass die öffentlichen IT-Dienstleister noch mehr Services in der DVC anbieten. Aber wir haben gelernt, dass das natürlich voraussetzt, dass die Träger der IT-Dienstleister Mittel dafür bewilligen. Cloud-Transformation braucht auch Investment. 

Martin Schallbruch, CEO der govdigital eG, am Tisch sitzend beim Interview mit der HZD-Redaktion

INFORM: Der Begriff digitale Souveränität ist bereits mehrfach gefallen. Sie spielt gerade beim Thema Cloud eine wichtige Rolle. Wie definieren Sie digitale Souveränität?

Martin Schallbruch: Das ist eine sehr spannende Frage, mit der ich mich schon 2013 beschäftigt habe – damals im Kontext der Enthüllungen des Whistleblowers Edward Snowden und der Frage, ob Deutschland souverän ist in Richtung US-Technologien, wenn selbst das Handy einer Bundeskanzlerin abgehört werden kann. Ich war damals Abteilungsleiter für Informationstechnik, Digitale Gesellschaft und Cybersicherheit im Bundesministerium des Innern und musste einem Untersuchungsausschuss im Bundestag den Sachverhalt ausführlich erklären.

Ich greife immer noch auf das zurück, was ich damals erarbeitet habe. Für mich ist digitale Souveränität vor allem die Beherrschbarkeit einer Abhängigkeit. Dass wir Abhängigkeiten von Partnern oder Lieferanten eingehen, ist normal. Wenn wir diese Abhängigkeit allerdings nicht beherrschen – also nicht wissen, von welchem Anbieter wir überhaupt abhängig sind, wie hoch die Kritikalität ist, mit welchem Aufwand wir wechseln können – dann haben wir ein Problem.

Digitale Souveränität ist für die öffentliche Verwaltung von besonderer Bedeutung, weil sie mit der Funktionsfähigkeit des Staates zu tun hat und damit, dass der Staat seine Aufgaben erfüllen kann und die Bürgerinnen und Bürger ihm vertrauen. Deshalb müssen wir das Thema sehr ernst nehmen. Das tun wir. Die Deutsche Verwaltungscloud- Strategie ist übrigens auch in eine Strategie des IT-Planungsrats zum Erhalt der digitalen Souveränität eingebettet. 

INFORM: Welchen Rat geben Sie IT-Verantwortlichen in Behörden mit auf den Weg, die gerade eine Cloud- Migration planen?

Martin Schallbruch: Gehe lieber nicht alleine. Egal, ob CIO eines Landes, des Bundes oder einer Stadt – keine dieser Instanzen ist für sich alleine im internationalen Markt groß genug, um alle Abhängigkeiten in Eigenregie managen zu können. Deshalb ist es wichtig, dass wir eine entsprechende Kooperations- und Partnerschaftsstrategie haben. Der gesamte Public Sector in Deutschland ist wiederum so stark, dass wir auch gegenüber großen Anbietern die Bedingungen definieren und somit unsere eigene Vorstellung von digitaler Souveränität durchsetzen können.

INFORM: Was braucht es noch, um den Cloud-Turbo so richtig zu zünden?

Martin Schallbruch: Wie eingangs erwähnt, gibt es gerade einen Schub durch die Politik des Bundes. Ich würde mir wünschen, dass sich alle anderen auf Landes- und kommunaler Ebene anstecken lassen und wir die Geschwindigkeit erhöhen, Bedenken zurückstellen, mutig sind und entscheiden: Lasst uns einfach mit ersten Lösungen beginnen.

Besonders wichtig ist in meinen Augen ein gutes Zusammenspiel aus dem Top- down-Handeln hinsichtlich gemeinsamer politischer Ziele von Bund und Ländern einerseits und andererseits der Bottom-up-Kooperation der öffentlichen IT-Dienstleister, die immer enger zusammenarbeiten. Damit potenzieren wir die Kraft. Politische Ziele und funktionierende Kooperationen sind das A und O für die deutschlandweite Cloud- Transformation im Public Sector.

INFORM: Wir danken Ihnen für das Gespräch.   

Martin Schallbruch

kurz und knapp

Verkehrsplaner.

ich schon als Jugendlicher computerbegeistert war. 

das iPad. 

gehe ich wandern, am liebsten in Norwegen. 

für die Alltagsorganisation der Familie über eine Managed Nextcloud.