Sagenhaft kurz ist der Zeitraum von den ersten Anstößen 1967 bis zur Verabschiedung des Gesetzes über die Errichtung der Hessischen Zentrale für Datenverarbeitung (HZD) und Kommunaler Gebietsrechenzentren (KGRZ) am 11. Dezember 1969 und dessen Inkrafttreten am 1. Januar 1970 – der Geburtstag der HZD und der KGRZ. Das gemeinsame Ziel: Datenverarbeitung von Land und Kommunen so wirtschaftlich wie möglich zu betreiben.
HZD – die 1970er
Jung und begehrt
Die HZD geht mit 148 Beschäftigten an den Start. 46 Prozent sind Frauen. Am 22. Januar wählt der Verwaltungsrat der HZD auf seiner ersten Sitzung den Ministerialrat Klaus Bresse zum ersten Vorsitzenden der HZD. Albert Osswald, 1969 zum hessischen Ministerpräsidenten (bis 1976) gewählt, übernimmt den Vorsitz im Verwaltungsrat der HZD.
Das Rechenzentrum verfügt über drei DV-Systeme mit zusammen 400 KB. Programmiert wird in Cobol und Assembler; etwas später kommt die Programming Language One (oft als PL/I abgekürzt) hinzu, eine Programmiersprache, die IBM in den 1960er-Jahren entwickelt hat. IBM ist im Rechenzentrum allgegenwärtig. Getestet wird bis in die Nacht hinein.
Zu Beginn stehen die HZD und ihre Beschäftigten stark im Mittelpunkt des politischen Interesses. Die Erwartungen an die neue Einrichtung sind hoch. Die Verwaltungsratssitzungen sind fast wie Kabinettsitzungen, dort geben sich alle Minister unter dem Vorsitz des Ministerpräsidenten ein Stelldichein.
Die ersten Jahre der HZD sind eine Zeit des Aufbruchs. Nach dem Wirtschaftswunder erfasst das Datenwunder Hessen. Aus heutiger Sicht sind es „die wilden Jahre der DV“: Vieles läuft noch unorganisiert ab. Strenge Regelungen kennt man kaum. Hierarchien sind äußerst flach. Was andererseits viel Raum für Kreativität lässt. Die IT ist längst noch nicht so spezialisiert, wie dies heute der Fall ist.
DV-Freaks aus allen Bundesländern
Beschäftigte sind häufig Programmierende, Projektleitende und Kundenberatende in einer Person. Sie sind einerseits auf sich gestellt, tauschen sich andererseits aber ständig auf Bundesebene (Bund-Länder-Programmiergruppen) aus. Ein wachsender Stellenplan erlaubt Blitzkarrieren und zahlreiche Neueinstellungen, bei denen DV-Freaks aus allen Bundesländern gewonnen werden.
In der HZD herrscht eine völlig andere Stimmung als in der übrigen Landesverwaltung. Während dort ein eher formaler Umgangsstil gepflegt wird, dominieren in der HZD informelle Strukturen. Sie geben viel Freiraum für neue Lösungen. DV und Verwaltung sind zwei Welten. Fast alle Frauen sind in den Anfangsjahren im Lochersaal beschäftigt. Hier herrschen strenge Sitten: bloß nicht zu spät kommen, schnell den weißen Kittel überwerfen und ohne ein Schwätzchen an die Arbeit.
Die abgezählten Lochkarten liegen schon zum Ablochen bereit. Die Lochsaalleiterin überwacht den reibungslosen Ablauf ganz genau: Pausenzeiten einhalten, still auf dem Platz sitzen und nicht zu oft auf die Toilette gehen – es gibt eh nur eine für 30 Frauen. Und wehe, Frau macht einen Fehler. Dann wird sie von der Lochsaalleiterin herbeizitiert. Da kann einem schon das Herz in die Hose rutschen.
Strenge Sitten im Lochersaal
Allerdings ist das Tragen von Hosen anfangs gar nicht erlaubt. Frau hat Rock zu tragen! Trotz der strengen Sitten suchen und nutzen die Locherinnen jede Gelegenheit für Scherze und Schabernack. Ein Handkäs im Lochkartenkasten, Locherschnipsel im Schirmständer, Zettel mit flotten Sprüchen auf den Kitteln.
Zur Feuertaufe jeder Neuen wird ein kokelnder Sektkorken unter den Holzstuhl geklebt. Angeblich ist der Lochersaal auch die Geburtsstätte des Kreppelkaffees. Eine Locherin findet heraus, dass das Finanzministerium feiert und holt die Erlaubnis ein. Ganz bescheiden geht es mit Kreppel, Kaffee und einem Likörchen los.
Schlagzeilen 1970 bis 1979 ...
...weltweit | und in der HZD | |
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1970 | Let it be: Die Beatles lösen sich auf. „Houston, wir haben ein Problem…“: Der Besatzung der amerikanischen Raumfahrtmission Apollo 13 gelingt nach der Explosion eines Tanks dank viel Improvisationstalent die Rückkehr zur Erde. Versöhnung: Der Kniefall von Warschau wird zum Symbol der Entspannungspolitik von Bundeskanzler Willy Brandt. | Das hessische DV-Verbundgesetz tritt in Kraft. Die HZD startet mit 160 Bediensteten. Klaus Bresse wird erster Vorsitzender der HZD, Albert Osswald präsidiert den Verwaltungsrat. |
1971 | E-Mail: Ray Tomlinson, Erfinder der E-Mail, verschickt die erste digitale Textnachricht. Sein Kollegium hält das für Spielerei. Lach- und Sachgeschichten: Die Sendung mit der Maus wird erstmals ausgestrahlt. | Um genug Platz für die kommenden Aufgaben zu haben, wird der Bau in der Mainzer Straße erweitert. Am 27. Mai ist Richtfest, ganz traditionell mit Blaskapelle. |
1972 | XX. Olympische Spiele: Ein politisch motiviertes Massaker überschattet die Spiele in München. RAF: Andreas Baader und andere Mitglieder der Rote-Armee-Fraktion werden in Frankfurt/Main nach einer Schießerei verhaftet. Watergate-Affäre: Der Einbruch ins Watergate-Gebäude in Washington D. C. ist Auslöser der Watergate-Affäre | Der Kreppelkaffee findet erstmals in den Schulungsräumen statt. Die 370er-Serie der IBM hält Einzug. So auch im Neubau des Kommunalen Gebietsrechenzentrums Frankfurt/Main, das im Oktober seiner Bestimmung übergeben wird. Die maschinelle Ausstattung im 800 m2 großen Maschinensaal: 1 x IBM/370-155 mit 384 KB |
1973 | „Aloha from Hawaii“: Auf Hawaii findet Elvis Presleys legendäres Konzert statt. Erstmals können solche Ereignisse live am Fernseher miterlebt werden. Ölhahn zugedreht: Die OPEC hebt den Ölpreis um 70 Prozent an, die Auswirkungen der Ölkrise sind weltweit massiv zu spüren. In der BRD kommt es erstmals zu einem allgemeinen Pkw- und Lkw-Sonntagsfahrverbot. | Es gibt jetzt die Hauszeitung inform intern, um die Beschäftigten besser zu informieren. |
1974 | Weltmeistertitel: Die deutsche Elf wird Fußballweltmeister im eigenen Land. Waterloo: ABBA gewinnt für Schweden den Eurovision Song Contest. | Der spätere Direktor Leonhard Ermer kommt zur HZD und bringt LEDOK („Leonhard-Ermer-Dokumentationssystem“) mit. HZD-Direktor Klaus Bresse und Ministerpräsident Albert Osswald im EDV-Termin: Die Stadt Viernheim ist erster hessischer Anwender in der Datenfernverarbeitung. |
1975 | Ritterschlag: König Elisabeth II. schlägt Charlie Chaplin zum Ritter. | Die HZD legt erstmals einen Geschäftsbericht vor und weist 518 Projekte aus. Ministerpräsident Albert Osswald legt sein Amt als Verwaltungsvorsitzender nieder. |
1976 | Geiselnahme: Richard Oetker, Sohn des Konzerninhabers Oetker, wird von Dieter Zlof in Freising entführt. Zwei Tage später wird er nach der spektakulären Übergabe des Lösegelds (21 Millionen DM) freigelassen. | Der Rechnungsprüfungshof des Landes Hessen kommt in der vorgelegten Untersuchung über die Organisation und Wirtschaftlichkeit der HZD zu dem Ergebnis, dass in beiden Bereichen kein Anlass zu einer grundsätzlichen Kritik besteht. Der Vorstand der HZD will regelmäßig Betriebsversammlungen zur besseren Information der Betriebszugehörigen einführen. Die Betriebsversammlungen sollen obligatorisch sein. |
| Frauenpower: Die Journalistin Alice Schwarzer gründet die Zeitschrift Emma und legt damit einen entscheidenden Grundstein der feministischen Bewegung. | Frau Schulz aus Wiesbaden wird als einmillionste Bürgerin in das DV-Verfahren „Einwohnerwesen“ übernommen. Das hessische Innenministerium – ab sofort zuständig für die Landesautomation – übernimmt die Aufsicht über die HZD. Leonhard Ermer verlässt (zunächst) die HZD und wird Automationsreferent im hessischen Innenministerium. |
1978 | Dosenfleisch oder SPAM? Der DEC-Mitarbeiter Gary Thuerk geht mit dem Versenden von 400 Werbemitteilungen als erster Spammer in die Computer-Geschichte ein. Drei-Päpste-Jahr: Auf den Papst Paul VI. folgt Johannes Paul I., dem nur 33 Tage beschieden sind. Am 16. Oktober wird der Pole Karol Wojtyla, Johannes Paul II., zum Papst ernannt. | Am 31. Januar wird das neue Hessische Datenschutzgesetz (HDSG) verabschiedet und die damit verbundene notwendige Verpflichtung der Beschäftigten durchgeführt. Auch die Verpflichtung der Auftragnehmer der HZD auf das HDSG wird sichergestellt. Datenfernübertragung: Der Anschluss der Finanzämter an das integrierte Besteuerungsverfahren erfolgt über festgeschaltete Leitungen mit den Übertragungsgeschwindigkeiten: |
1979 | Unterhaltungselektronik: Sony bringt am 1. Juli den weltweit ersten Walkman namens TPS-L2 auf den Markt. Überall und jederzeit Musik hören zu können, bedeutet eine Revolution in der Unterhaltungselektronik. | In HZD-Produktion befinden sich 360 DV-Verfahren. An weiteren 90 Entwicklungsprojekten wird gearbeitet. 30 Finanzämter sind an die Datenfernverarbeitung angeschlossen. |