Ermer betreibt nach seinen eigenen Worten „die Verwaltungsreform mit missionarischem Eifer“. In seine Zeit fällt die tiefgreifende Umgestaltung der HZD von der nachgeordneten Dienststelle zu einem wettbewerbsfähigen Landesbetrieb.
HZD – die 1990er
Wettbewerbsfähiger Landesbetrieb
Die 1990er-Jahre kann man in der Geschichte der HZD getrost als die „Ära Ermer“ bezeichnen. Er paart technische Weiterentwicklung mit betriebswirtschaftlicher Ausrichtung und Einbettung in den Verwaltungsapparat. Auf seine Initiative hin wird die HZD zu einem Landesbetrieb umgewandelt und ist damit für ihre Wirtschaftlichkeit eigenverantwortlich. Die HZD muss ihr Geld verdienen, ihre Leistungen sind nun entgeltpflichtig, es gilt, Gewinn- und Verlustrechnungen auszuweisen und Bilanzen vorzulegen. Nach den wilden Anfangsjahren und einer Phase großer Umwälzungen führt er die HZD in ruhigeres Fahrwasser.
In Zeiten, in denen der Staat immer genauer „aufs Geld schaut“, muss sich auch in der Datenverarbeitung das Rechnen rechnen. Für Ermer ist klar, dass die HZD im immer umfassender werdenden IT-Sektor nur überleben kann, wenn sie marktgerechte Leistungen und Produkte anbietet. Sie muss sich im Markt behaupten und darf nicht auf staatliche Alimentierung schielen. Diese Entwicklung wird unter seiner Führung in den 1990er-Jahren konsequent und letztlich erfolgreich vorangetrieben.
Eine Umfrage unter allen Beschäftigten liefert konkrete Anhaltspunkte, wie man die Bedingungen rund um den Arbeitsplatz noch vorteilhafter gestalten kann. Aus den Ergebnissen wird „Das ABC der HZD“ entwickelt und 1994 veröffentlicht: Es dient als Leitbild für die weitere Entwicklung und beschreibt die Ansprüche unter den Überschriften „Unser Auftrag – Unsere Grundsätze – Unsere Ziele“, die die HZD an sich selbst stellt und die so lauten:
Wir haben den Auftrag, die hessische Landesverwaltung durch den Einsatz von Informationstechnik bei der Erledigung ihrer Arbeit zu unterstützen. Er ergibt sich aus dem Datenverarbeitungsverbundgesetz, der Betriebssatzung der HZD und den Vorgaben der Landesregierung.
Unsere Grundsätze sind:
- Wir sind Dienstleister.
- Wir sind kreativ, kompetent und engagiert.
- Wir arbeiten vertrauensvoll zusammen.
- Unser Führungsstil ist partnerschaftlich.
- Wir sind uns der Verantwortung als öffentliche Verwaltung bewusst.
Unsere Ziele sind:
- Wir haben dauerhaft zufriedene Kunden.
- Wir bieten umfassende Kompetenz.
- Wir gewährleisten hohe Qualität.
- Wir ermöglichen günstige Preise durch niedrige Kosten.
- Wir haben zufriedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
- Wir orientieren uns am Bedarf des Landes.
Im Vorwort schreibt Direktor Ermer dazu: „Manchen von Ihnen mag vieles als Selbstverständlichkeit erscheinen, die keiner besonderen Erwähnung bedarf, aber wird nicht gerade Selbstverständliches in der täglichen Hektik häufig vergessen? Andere Aussagen werden von einigen als sehr zukunftsbezogen empfunden, aber ist es nicht gerade das Wesen von Zielen, daß wir sie noch nicht erreicht haben, sondern anstreben?“
Vor allem in der Außenwirkung ändert sich mit der neuen Ausrichtung vieles. Die Beziehung zu den Kunden in der Landesverwaltung ist schon immer recht gut; jetzt werden die Betreuung und Kommunikation professioneller: Die Kundenzeitschrift inform erlebt eine Auferstehung, Kundenbetreuende stehen als ständige Ansprechpersonen parat. Die HZD lädt zu Kundenseminaren ein und fragt die Zufriedenheit der Kunden ab. Mit der SAP-Einführung stellt man schließlich das Rechnungswesen auf moderne betriebswirtschaftliche Füße. Die Weiterentwicklung ist auch in Zahlen abbildbar. Die Erlöse der HZD wachsen von rund 59 Millionen DM (1989) auf 180 Millionen DM (1999). Mit dem Jahrtausendwechsel hat die HZD den Schritt vom Zuschussempfänger zum Dienstleister erfolgreich bewältigt.
Jahrtausendwechsel oder: Feiern trotz Urlaubssperre
Dem Jahrtausendwechsel sieht die HZD – anders als manch andere IT-Fachleute – recht gelassen entgegen. Bereits 1995 beginnt man, sich mit der Millennium-Problematik zu befassen und 1997 die Projektgruppe-Jahr-2000 (PJ2000) ins Leben zu rufen. Diese ist dafür verantwortlich, für alle Systeme, Hard- wie Software, die Jahr-2000-Fähigkeit zu erreichen. Bei Bedarf werden PCs, Maschinen, Netzwerkkomponenten und Server ausgetauscht.
Die HZD zeigt sich übrigens als verständnisvoller Arbeitgeber und ermöglicht zum Jahrtausendwechsel – wohl einmalig in der Geschichte und trotz weiterhin geltenden Alkoholverbots – eine Sonderregelung. Im „Merkblatt für den Einsatz zum Jahreswechsel 2000“ heißt es dazu unter Punkt 4 „Feier, Übernachtung in der Nacht vom 31. Dezember 1999 zum 1. Januar 2000: Die ,Zwangsverpflichteten‘ haben die Möglichkeit, Sylvester mit ihren Partnern und Kindern im Raum 180 zu feiern. (…) Eine Übernachtung im Büro wird in dieser Nacht gestattet. Für Decken, Schlafsäcke etc. ist selbst Sorge zu tragen.“ Die umfassenden Vorbereitungen und die Sensibilisierung für „Y2K“ haben sich gelohnt. Im Geschäftsbericht heißt es: „Dank einer stringenten Projektorganisation wurde der Jahreswechsel ohne nennenswerte Probleme bewältigt.“
Schlagzeilen 1990 - 1999
...weltweit | und in der HZD | |
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1990 | Vereint: In Deutschland laufen die Vorbereitungen für die Wiedervereinigung, gemeinsam feiern Ost und West den Sieg der deutschen Nationalmannschaft bei der Fußballweltmeisterschaft in Italien. | In der HZD stehen die Zeichen auf Wachstum: Am 1. Juni wird die Außenstelle in Hünfeld eröffnet, übergangsweise sitzen die Beschäftigten noch im Landratsamt. Die HZD unterstützt den „Aufbau Ost“ mit einer Kooperation mit dem Rechenzentrum Erfurt. |
1991 | Wind of Change: Die Sowjetunion zerfällt endgültig. Persischer Golf und Balkan: Die Kriege im Irak und im ehemaligen Jugoslawien beherrschen die Nachrichten. | Zwei Jahre nach der Umwandlung zum Landesbetrieb zieht die HZD eine positive Zwischenbilanz. Das Kundenmagazin inform erscheint nach längerer Pause in komplett neuem Layout. |
1992 | Schlechte Wirtschaftslage, Ausländerfeindlichkeit und Lichterketten: Ob IT-Branche, Maschinenbau oder Automobilindustrie – die wirtschaftliche Lage in Deutschland spitzt sich zu, tausende Stellen werden abgebaut. Im Jahresverlauf kommt es zu zahlreichen fremdenfeindlichen Aktionen. Gleichzeitig gehen Hunderttausende Menschen auf die Straße und demonstrieren gegen den wachsenden Fremdenhass. | Im April beginnt der Umbau des Rechenzentrums. Ziel ist die Erhöhung der Sicherheit sowie der Verfügbarkeit von Leistungen, Daten und Ressourcen für die Kunden. Der Umbau dauert drei Jahre und erfolgt im laufenden Betrieb. Nach monatelanger Vorarbeit gründet eine HZD-Elterninitiative am 14. Juli den Nesthäkchen e. V. und übernimmt die Trägerschaft für die Kita Nesthäkchen. Ein wichtiger Schritt zu mehr Vereinbarkeit von Beruf und Familie. |
1993 | Frischer Wind: In den USA tritt Bill Clinton sein Amt als Präsident an. Passage unterm Ärmelkanal: Der Eurotunnel bringt Großbritannien und Europa näher zusammen. | Eine Umfrage unter allen Beschäftigten liefert konkrete Anhaltspunkte, wie man die Bedingungen rund um den Arbeitsplatz noch vorteilhafter gestalten kann. Aus den Ergebnissen wird „Das ABC der HZD“ entwickelt: Es dient als Leitbild für die weitere Entwicklung und beschreibt die Ansprüche, die die HZD an sich selbst stellt. |
1994 | Wahlmarathon: 20-mal sind die Menschen in Deutschland zum Urnengang aufgefordert. Roman Herzog wird erster gesamtdeutscher Bundespräsident. Sprachgefühl: Der Begriff „Peanuts“ wird zum Unwort des Jahres gewählt. | Die Renovierung der Hausfassade Mainzer Straße 29 wird abgeschlossen, im noch heute bekannten Look. Viren, nein danke: Die HZD führt am 1. Oktober einen „Quarantäne-PC“ ein. Dieser wird ausschließlich dazu genutzt, eingehende Disketten, Streamer-Tapes und CD-ROMs auf ungewünschte Eindringlinge zu überprüfen. |
1995 | Reisen ohne Grenzen: Am 26. März tritt das Schengener Durchführungsübereinkommen in Kraft, die bis dahin üblichen Personenkontrollen an den Landesgrenzen zwischen Deutschland, Frankreich, den Beneluxstaaten, Spanien und Portugal sind Geschichte. | Das erste große Jubiläum steht ins Haus: Am 1. Januar blickt die HZD auf 25 erfolgreiche Geschäftsjahre zurück. Bei der Jubiläumsfeier im Wiesbadener Kurhaus begrüßt Direktor Leonhard Ermer u. a. den früheren Ministerpräsidenten Albert Osswald, der die HZD mit aus der Taufe gehoben hat. Betont familiär gestaltet sich der Tag der offenen Tür, an dem die HZDler Verwandte, Freundinnen und Freunde durch die verschiedenen Bereiche ihrer Wirkungsstätte führen. |
1996 | Dolly: Erstmals gelingt es der Wissenschaft, einen Klon aus einer erwachsenen Säugetierzelle zu erzeugen. Das Resultat der Aktion ist ein Schaf namens Dolly, das in Schottland das Licht der Welt erblickt. | Die HZD betreibt ein Qualitätsmanagementsystem für Entwicklung, Pflege und Vertrieb von Software und IT-Systemen sowie Beratung. Die Bestätigung für dessen Qualität erhält sie mit der ISO-Zertifizierung des TÜV Hessen. |
| Naturkatastrophe: In Deutschland lässt das Oderhochwasser die Nation zusammenwachsen: Über 30.000 Bundeswehrsoldatinnen und -soldaten versuchen gemeinsam mit DRK, Feuerwehren aus allen Bundesländern, Technischem Hilfswerk und zahllosen Freiwilligen die Deiche zu sichern. Lady Diana, Princess of Wales, stirbt nach einem Autounfall in Paris. Ihre Beisetzung wird weltweit von rund zwei Milliarden trauernden Fans am Fernseher verfolgt. | In der HZD wird aufgrund des Fachkräftemangels die Idee für ein eigenes IT-Trainee-Programm geboren.
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1998 | Eine Ära geht zu Ende: Bei der Bundestagswahl am 27. September wird erstmals eine Bundesregierung komplett abgewählt – nach 16 Jahren muss Helmut Kohl (CDU) das Amt des Bundeskanzlers an Gerhard Schröder (SPD) übergeben. | Im Geschäftsbericht 1998 zieht Direktor Ermer eine positive Bilanz zur Erfolgsstory „HZD als Landesbetrieb“: Von 1988 bis 1998 stieg das IT-Budget des Landes Hessen von 152 auf 298 Millionen DM (+96 Prozent). Dabei wuchs der Anteil der HZD von 45 auf 160 Millionen DM. Der „Marktanteil“ der HZD erhöhte sich von 35 Prozent auf 54 Prozent. |
1999 | Jahrtausendwende: Die (Computer-) Welt bereitet sich auf „das Millennium“ und die Jahr-2000-Problematik vor. Eklipse: In Mitteleuropa beobachten im August Tausende gebannt eine totale Sonnenfinsternis. | Im Rechenzentrum geht die Ära der ECL-Technologie zu Ende: Das zentrale Großrechnersystem vom Typ Amdahl wird abgebaut und durch Rechner vom Typ COMPAREX C2000-A26 ersetzt. Die neue CMOS-Technologie hat einen deutlich geringeren Raumbedarf als ihre Vorgängerin. |